Berlin Raststätte

Kern der prekären Lebenssituationen ist die Unvorhersehbarkeit, die Unplanbarkeit. Deshalb ist auch die Installation von einem HOTEL GELEM oft nicht dauerhaft. Dennoch gibt es Regelmäßigkeiten.

Seit einigen Jahren installieren einige Rroma-Familien während den Sommermonaten auf Autobahnraststätten in Berlin eine temporäre Zeltstatt. Dieses Jahr ist es die Autobahnraststätte Waldeck-West. Während sich eine Regionalzeitung echauffiert, von “machtlosen Behörden” schreibt und Polizeikontrollen fordert, entsteht auf der Raststätte ein wenig Alltag. Zelte stehen zwischen den Parkbuchten, Geschirr, Sitzkissen und Decken finden sich auf den blauen, festmontierten Tischen des Rastplatzes, Wäsche hängt zum Trocknen über dem Zaun.

Zwar ist das Campieren auf Raststätten nicht erlaubt, jedoch mehr als ein Platzverbot zieht diese Ordnungswidrigkeit nicht nach sich. Vor einem Jahr wurde eigens ein privater Wachschutz angeheuert – doch natürlich sind die Menschen dadurch nicht zu vertreiben. Wohin sollten sie? Sie kommen aus Ländern, in denen die Lebensverhältnisse noch viel prekärer sind als hier, und Gewalt gegen Rroma ist für sie nichts neues. In den warmen Jahreszeiten versuchen sie ihr Glück in Berlin. Für ein dauerhaftes Bidonville wie in Frankreich sind die klimatischen und vielleicht auch die politischen Bedingungen in der deutschen Hauptstadt jedoch zu unwirtlich. Diejenigen, die in Berlin bleiben werden, müssen im Winter in jenen Wohnungen Zuschlupf suchen, die zimmerweise oder gar matratzenweise vermietet werden. Als Vermieter agieren meist Menschen, die selbst zuunterst in der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung stehen und von wenig Sozialhilfe oder Rente leben. Ihre Wohnungen geben sie zu horrenden Preisen weiter. Damit entsteht eine seltsame Selbstorganisation unter dem Radar von Mieterschutz oder Einwohnerkontrolle, da wo auch die Behörden nicht genau hingucken wollen, wo selbst Sozialarbeit und Rromaverbände an Grenzen stoßen. Doch die entstandene Unsichtbarkeit von Armut und Elend ist trügerisch. Die Menschen und ihr Schicksal werden nicht anerkannt, im Gegenteil: auf Kosten dieser Menschen hält eine Mehrheitsgesellschaft einzig eine Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit aufrecht. Der Versuch dieser fünfzig Menschen in Waldeck, wenigstens für eine kurze Zeitspanne hier ihre Zelte aufzuschlagen, ist wohl kaum eine tatsächliche Bedrohung für die Deutsche Hauptstadt mit 3.5 Millionen Einwohnern. Am Rande der Gesellschaft und an einem unwirtlichen Platz am Rande der Stadt, in Mitten des Autobahnlärms und unmittelbar in der Flugschneise des Flughafens Schönefeld gelegen, sollte diese Zeltstatt vielleicht weniger als Parallelgesellschaft verstanden werden, sondern eher als ein Phänomen der Verteilung von Chancen, Gütern und Aufmerksamkeiten am äussersten Rande einer globalisierten Konsum- und Kommunikationsgesellschaft.

Das HOTEL GELEM entsteht in einem Zelt auf der Autobahnraststätte Waldeck West, umringt von den anderen Zelten der Rroma-Familien. Es ist der erste Rastplatz an der A?117 kurz hinter der Berliner Stadtgrenze auf der Fahrt stadtauswärts. Das kurze Autobahnstück ist eigentlich ein Überbleibsel aus Zeiten der DDR und führt zu den grossen Ikea und Mediamarkt Shoppingcenter vor der Stadt. Ohne Auto ist hier ein Wegkommen nicht möglich. Während die meisten in die Stadt fahren, bleiben nur wenige tagsüber hier zurück. Abends wird dann gekocht auf dem Grill und gegessen an den blauen, fest verankerten Tischen der Raststätte neben den Parkbuchten. Die Autobahnmeisterei Rangsdorf brachte vor einigen Tagen zwei mobile Toilettenkabinen und einen grossen Wassertank. Wahrscheinlich war das weniger als ein Entgegenkommen gemeint, sondern eher als Ordnungsmaßnahme der Sanitär- und Grünanlagen. Dennoch ist dies ein erster, kleiner Schritt hin zu einer Anerkennung.

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